Ich darf mich kurz vorstellen…

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Mein Name ist Mathilde Fahrbauer, ich wurde am 24. März 1912 in München geboren. Ich bin in Schwabing aufgewachsen und besuchte bis 1932 das Kerschensteiner-Institut in der Franz-Joseph-Straße, wo ich mit anderen Mädchen bis zu einer Art Hochschulreife ausgebildet wurde. So konnte ich, wenn auch ziemlich allein unter Männern und mit anfänglichen Schwierigkeiten von 1932 bis 1939 Lehrveranstaltungen zur Architektur an der Technischen Hochschule München hören. Zwischendrin musste ich zum Reichsarbeitsdienst.  Schließlich fand ich 1939 eine Arbeit als Bauzeichnerin in einem Architekturbüro in Rottach-Egern. 1944 musste ich aber wegen der allgemeinen Mobilmachung aller Kräfte zum Einsatz in die Wehrmacht. Über eine Vermittlung konnte ich glücklicherweise als Sekretärin in einer Dolmetscher-Einheit in München unterkommen.

Auch wenn das hier recht wahrheitsgetreu klingt: mich gab es nicht wirklich. Umso mehr ist es mir nun eine Ehre, Dich durch die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs in München zu begleiten und Dir dabei die Geschichte der Freiheitsaktion Bayern zu erzählen – die gab es nämlich wirklich…

Danziger Freiheit

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Dass der Feilitzschplatz, an dem Mathilde Fahrbauer wohnte,danziger_freiheit in Danziger Freiheit umbenannt worden war, hatte sie kaum bemerkt. Sie war nämlich verliebt in diesen Dezembertagen des Jahres 1933. Mathilde hatte ihn beim Punsch am Markt kennengelernt. Ottheinrich Leiling, der von allen Ottheinz genannt wurde, war nur zwei Jahre älter als sie und gerade mitten in seinem Jurastudium. Auch wenn ihre Mutter wegen des Regierungswechsels beunruhigt war, Mathilde war sich sicher, dass es nicht lange dauern würde mit den Nationalsozialisten. Die Regierungen wechselten ja sowieso ständig. Mathilde wartete auf eine Antwort von Ottheinz auf ihren Brief oder vielleicht sogar einen Anruf – manchmal konnte sie das Telefon der Nachbarn benutzen. Ihr Vater war der Meinung, dass sie nicht bei jeder Mode mitmachen müssten, würde ja das neue Rundfunkgerät schon genug Lärm machen.

Im August 1939 – Mathilde machte gerade ihre ersten beruflichen Erfahrungen in einem Bauzeichnerbüro in Rottach-Egern – war auch ihr klar geworden, dass Adolf Hitler und die NSDAP wohl so schnell nicht mehr die Macht aus der Hand geben würden. In ihrem Freundes- und KollegInnenkreis waren die Einschätzungen recht unterschiedlich. Viele gingen auf in Kameradschaft, NS-Studentenbund oder Reichsarbeitsdienst und fühlten sich wohl in der neuen Gemeinschaft, die Deutschland wieder zu internationaler Anerkennung zu verhelfen schien. Andere beobachteten die Gleichschaltung und Militarisierung aller Bereiche mit Unbehagen, beteiligten sich, wo sie mussten.

Ein Einschnitt für Mathilde war 1934 die Flucht ihres kommunistischen Nennonkels Ludwig Ficker in die Schweiz. Viele seiner Genossen und Freunde waren nach Dachau in das dort neu errichte Konzentrationslager gebracht worden. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, dass es dort grausam zugehen würde. Die Nachbarn mit dem Telefon hatten umziehen müssen. Sie waren Juden, was bis zu den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 keiner wusste, weil es keine Rolle gespielt hatte. Die sechsköpfige Familie zog in eine kleine Wohnung im Stadtteil Milbertshofen. Die Leitung ihres kleinen Kolonialwarenladens übertrugen sie auf einen arischen Geschäftsführer. Der anfänglich noch bestehende Kontakt riss irgendwann Ende der 1930er Jahre ab. Mathilde hatte nur noch gehört, dass die Familie in östliche Gebiete umgesiedelt worden war. Auch zu diesen Massenumsiedlungen gab es Gerüchte über Erschießungen und Arbeitslager, die aber so unwahrscheinlich klangen, dass sie nicht sicher war, ob sie das glauben sollte.

 

Die Münchner Dolmetscher

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Zu ihrer großen Liebe hatte Mathilde den Kontakt gehalten, obwohl Ottheinz nach einem Studienaufenthalt in England eine andere Frau, die aus England kam, kennengelernt und geheiratet hatte. Zwei Jahre nach Kriegsbeginn, den Mathilde in Rottach-Egern anfangs nur am Rande mitbekam, war Ottheinz als Dolmetscher für Englisch eingezogen worden. In den frühen 1940er Jahren hatte die Wehrmacht Dolmetscher-Einheiten aufgestellt. Sie hatten vor allem die Aufgabe an der Front die Kommunikation mit der Zivilbevölkerung und den Gefangenen zu gewährleisten und im rückwärtigen Gebiet in Kriegsgefangenenlagern zu übersetzen und die Post der ausländischen Gefangenen zu kontrollieren. Ottheinz war im Frühjahr 1943 von seinem Einsatz im besetzten Holland nach München zurückgekehrt, wo er nun die anderen Soldaten in Englisch unterrichtete. Zwar war die anfängliche Siegesgewissheit seit dem deutschen Rückzug aus Stalingrad etwas gedämpft, aber die Vertreter des Regimes in Politik und Militär waren sicher, dass auch weiterhin sprachkundige Kräfte benötigt würden.schreibmaschine_zeichnung

Ende Juli 1944 im Rahmen der so genannten totalen Mobilmachung sollte Mathilde für kriegswichtige Aufgaben zur Wehrmacht zwangsverpflichtet werden. Durch Fürsprecher an höheren Wehrmachtsstellen und durch die Vermittlung ihrer großen Liebe gelang es ihr als Sekretärin in der Münchner Dolmetscher-Einheit unterzukommen.

An Weihnachten 1944 blieb ein guter Freund ihrer Eltern, Dr. Otto Leibrecht, nach einer Dienstreise in der Schweiz, weil er in NS-Deutschland Angst um sein Leben hatte. Die Fahrbauers waren in Sorge, weil sie fürchteten, dass herauskommen könnte, dass er vor der Abreise noch bei ihnen war und darum gebeten hatte, dass sie sich im Notfall um seine Frau und Kinder kümmern mögen.

Schon ab Anfang des Jahres 1945 waren einige Mitglieder der Dolmetscher-Einheit eher skeptisch und begannen vorsichtig ihre Zweifel am Regime anzudeuten. Andere wiederum vertrauten scheinbar den Parolen des Regimes und verharrten im unumstößlichen Glauben an den Führer. Während ihrer Arbeit im Dolmetscher-Sekretariat hatte Mathilde mitbekommen, dass Ottheinz Leiling und seine Kollegen Rupprecht Gerngross und Leo Heuwing sich öfters intensiver besprachen. Durch einen Zufall hatte sie erfahren, dass sie Kontakt zu Franz Sperr und dessen Freundeskreis hatten. Er und einige Vertraute waren nach dem Attentat auf Adolf Hitler im Juli 1944 festgenommen worden und saßen seitdem in einem Berliner Gefängnis. Im März und April 1945 konnte Mathilde beobachten, dass sich die drei mit Offizieren anderer Einheiten trafen, mit denen die Dolmetscher bis dahin noch nie zu tun gehabt hatten.

In einem Gespräch mit Ottheinz hatte Mathilde sich verplappert. Sie hatte Ende Februar 1945 einen Rundfunksender entdeckt, auf dem ein Mann namens Hagedorn recht deutliche Worte zur Situation in Deutschland fand. Er rief dazu auf, sich bereit zu halten, um den Nationalsozialisten ein Ende zu setzen, durch eine bedingungslose Kapitulation Deutschland zVolksempfängeru retten, damit es sich unter alliierter Kontrolle wieder erholen könne. Nach Kriegsende stellte sich heraus, dass der geflohene Freund ihrer Eltern, Dr. Otto Leibrecht, mit seinen Berichten zu Widerstandsplänen in München, Ideengeber für diese Sendungen war. Sie sollten die Durchhalteparolen der NS-Propaganda untergraben und die Bevölkerung zu Widerstandshandlungen ermutigen.

Radiofeatures

Sonntagsfeature: „Achtung, Achtung! Hier spricht FAB, Freiheitsaktion Bayern“

VolksempfängerAm Sonntag, den 26. April 2015  kam in der Sendereihe: „Zeit für Bayern“ ein Feature des Hörfunkjournalisten Thies Marsen. Er hat ein Kaleidoskop zum Hören geschaffen und für O-Töne zur FAB fast ganz Bayern durchquert.

 Zum Podcast 

Am Sonntag, den 25. Oktober 2015 enthielt der hörenswerte und aufschlussreiche Beitrag zum Fremdspracheninstitut München von Thies Marsen „Babylon in Schwabylon“ einen kurzen Exkurs zur Freiheitsaktion Bayern.

Zum Podcast 

„Totaler Krieg“

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soldatIn dieser Zeit war die Front des Krieges immer näher gerückt. Hatten die gegnerischen Einheiten im Herbst 1944 bereits im Westen das Reichsgebiet erreicht, kamen sie nun auch im Osten immer näher. Die örtlichen Verwaltungen verkündeten Pläne für Verteidigungsmaßnahmen. Bei der Mobilisierung des Volkssturms griff die Verwaltung auch auf ältere Männer und Jugendliche zurück. Die Gauleitung erhielt Volkssturm-Einheiten mit besser ausgebildeten Rekrutierten.

Im zum Teil stark zerstörten München war das Leben recht mühsam geworden: wegen der Alarme – vor allem nachts – mussten die Hausbewohner immer wieder in den engen stickigen Luftschutzkeller. Sie saßen eng gedrängt, schwer atmend unter den Gasmasken und warteten auf Entwarnung. Um an Lebensmittel zu kommen, reichte es nicht mehr aus, sich mit seinen Lebensmittelmarken in den überlaufenen Läden anzustellen. Oft gab es nach langem Warten, nur noch wenig Ware. Manche Dinge bekam man lediglich im Tausch und über Beziehungen. Vor allem für die zahllosen FremdarbeiterInnen und Kriegsgefangenen, die oft harte körperliche Arbeit leisten mussten, wurde es damit immer schwieriger, ausreichend Essen zu bekommen. Mathildes Eltern hatten glücklicherweise Freunde in der rund fünfzig Kilometer südlich gelegenen Bergarbeiterstadt Penzberg, wo sie nun immer öfter über mehrere Tage blieben.

Mathilde selbst hatte bis zu ihrer Arbeit in der Dolmetscher-Kompanie noch nie etwas gehört vom riesigen Kriegsgefangenenlager im rund 50 Kilometer entfernten Moosburg. Sie konnte den Dolmetscher Leo Heuwing einmal bei einer Dienstfahrt im März 1945 begleiten. Dort trafen sie auf andere Dolmetscher, und auf der Rückfahrt besuchten die beiden seine Freunde Robert von Werz und Ebba Ottow auf dem größeren Gutshof Hirschau, der markante Silotürme hatte. Mathilde bekam dabei vertrauliche Gespräche mit, deren Inhalt sich nicht recht zusammenreimen wollte. Es ging irgendwie darum Kontakt zu einer Freisinger Panzereinheit aufzunehmen und andererseits um französische Kriegsgefangene, die man nach München Schwabing bringen wollte. Dabei fiel auch der Name der Autowerkstatt von Georg Roedter, die in der Nachbarschaft der Fahrbauer’schen Wohnung in der Occamstraße lag. Allerdings war sie auch nicht ganz bei der Sache. Ihre Eltern waren in der Woche zuvor nach Penzberg gefahren und hatten seitdem nichts mehr von sich hören lassen. Das war nicht so ungewöhnlich, die Kommunikations- und Reisemöglichkeiten für Privatpersonen waren zugunsten des Militärs eingeschränkt, trotzdem war sie etwas beunruhigt. Auch fand sie die Geheimniskrämerei der Dolmetscher ein bisschen überzogen, wer sollte schon etwas mitbekommen, waren doch die meisten Menschen recht mit sich selbst beschäftigt.

Zehn-Punkte-Programm

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Im April traf Mathilde einen ihrer älteren Cousins, der sie relativ unumwunden nach den Dolmetschern fragte. Er war in München, weil er bei der Volkssturmeinheit des Gauleiters war. Ihn interessierten recht auffällig, die ihm suspekten „Drückeberger“, welche seiner Meinung nach niemand brauchte. Sie würden schließlich ja nicht recht hilfreich sein, wenn es um die Verteidigung des Deutschen Reiches ginge. Mathilde versuchte sich mit ein paar unbestimmten umwölkten Antworten aus der Affäre zu ziehen, von ihren Beobachtungen erzählte sie ihm nichts. An einem der nächsten Tage – es war der 26. April 1945 – traf sie im Büro auf Ottheinz und berichtete ihm von den seltsamen Fragen des Cousins. Ottheinz reagierte bestürzt und ging mit ihr in einen der kleinen Klassenräume. Er wollte nicht recht herausrücken mit der Sprache, aber Mathilde ließ nicht locker und schließlich erzählte er dann doch: Heuwing, Gerngross und er hätten schon seit längerem die Idee, dass auch nach dem missglückten Attentat auf den Führer etwas passieren müsste, damit der Krieg endlich ein Ende hätte. Sie hätten vergebens darauf gehofft, dass aus dem Umfeld des Reichsstatthalters Franz Xaver Ritter von Epp etwas begonnen werde. Sie hätten von dessen Adjutanten Günther Caracciola-Delbrück, mit dem sie früh diesbezüglich schon Kontakt hatten, schon länger nicht mehr gehört. Die Rundfunkaufrufe von diesem Hagedorn würden ja auch eine klare Sprache sprechen, weshalb sie nun selbst aktiv werden wollen. Deshalb würden sie so viele Waffen und Munition wie möglich sammeln. Und Heuwing habe über das Gut Hirschau Kontakt nach Freising aufnehmen können und auch im Kriegsgefangenenlager in Moosburg, wo sie ja bereits gewesen sei, gäbe es zwei Gruppen, die sich beteiligen wollten. Sie hätten sogar erst gestern zwei französische Kriegsgefangene aus dem Lager befreit und in eine Schwabinger Autowerkstatt gebracht, weil sie sich erhofften, dass diese über ein Funkgerät Nachrichten zu den Münchner Plänen an die Alliierten senden würden. Auch würden sie gerade mit dem Kommandeur der großen Panzer-Abteilung in Freising, Major Alois Braun, darüber sprechen, wie er seine große Einheit einsetzen könnte, um sie zu unterstützen. Einen Namen für die geplante Aktion gäbe es schon: „Freiheitsaktion Bayern “ kurz FAB und losgehen sollte es, sobald alliierte Soldaten so nah seien, dass sie innerhalb von einem Tag München erreichen könnten, um die Aktion zu zehn_punkt_ausschnitt_quelleunterstützen. Ottheinrich zeigte Mathilde ein Blatt Papier, auf dem zehn Punkte standen. Aber auf einmal klopfte es und er musste den Zettel schnell einstecken. Mathilde verstand nicht ganz, was er mit Aktion meinen könnte, konnte aber nicht nachhaken, weil sie so bald nicht mehr unter vier Augen zusammentrafen.

Hier der Text des Zettels, den Ottheinz so schnell verschwinden lassen musste:

Zehn-Punkte-Programm der FAB | April 1945

 

Der Aufstand beginnt

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Als Mathilde am Freitag, den 27. April 1945 für die spätere Schicht nachmittags zur Arbeit kam, lag eine ziemliche Unruhe in der Luft. Daheim hatte sie nochmal den Hagedorn-Sender gehört. Er sprach die ganze Zeit davon, dass nun der richtige Zeitpunkt zum Losschlagen gekommen sei. Durchnässt und frierend war sie dann schließlich in der Kaserne in der Saarstraße beim Flugplatz im Oberwiesenfeld eingetroffen. Auf dem Weg hatte sie militärische Einheiten Richtung Norden marschieren sehen, sie schienen sich für eine Verteidigung Münchens bereit zu machen.

Ab 22:00 Uhr abends herrschte geschäftiges Treiben unter den Dolmetschern. Sie machten sich anscheinend marschbereit. Doch dann verkündete Rupprecht Gerngross, was geplant war: Die nationalsozialistische Staats- und Militärmacht sollte abgesetzt werden. Ein Regierungsausschuss sollte nach einem Waffenstillstand mit den Alliierten die Geschicke Bayerns lenken. Und damit sich möglichst viele Menschen an der Aktion beteiligen, sollten Flugblätter und eine Zeitung gedruckt werden. Große Hoffnung setzten sie dabei in Rundfunkaufrufe, weshalb sie zwei Sender besetzen wollten. Verschiedene Gruppen aus der Kompanie, aber auch aus anderen militärischen Einheiten übernahmen dabei bestimmte Aufgaben. Mathilde stand verloren herum. Sie sollte in der Kaserne bleiben, ebenso wie ein Reservezug unter der Leitung von Maximilian Roth.

„Achtung, Achtung hier spricht FAB – Freiheitsaktion Bayern…“

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Mathilde konnte das nicht, einfach nur in dieser Kaserne sitzen und warten. Unter dem Vorwand, sie sei müde, verabschiedete sie sich von Maximilian Roth. Sie radelte auch wirklich nach Hause, aber eigentlich nur um sich wärmere Sachen anzuziehen, um dann weiter durch den Englischen Garten Richtung Norden zu fahren. Sie hatte aufgeschnappt, dass am Aumeister ein Stützpunkt für die Soldaten sein solle. Und tatsächlich traf sie auf einige Dolmetscher. Alle Versuche, sie wegen der Gefahr wieder heimzuschicken, konnte sie abwehren und irgendwann gaben es die Soldaten auf.

Sie durfte bleiben. Immer wieder trafen Melder und Funksprüche aus unterschiedlichen Gruppen ein. Auch Gerngross war kurz mit einem Wagen vorbeigekommen und dann Richtung Norden weitergefahren. Ottheinz, der in einem anderen Wagen saß hatte sie zum Glück in der ganzen Aufregung gar nicht bemerkt. Er hätte sie sicher nach Hause geschickt.

 

Inzwischen war es kurz vor 3:00 Uhr morgens. Angespannt warteten alle vor einem Rundfunkgerät. Etwa eine Stunde zuvor hatte sich ein Trupp zum nahegelegenen Wehrmachtssender in Freimann aufgemacht, um von dort aus Aufrufe an die Bevölkerung zu senden. Und tatsächlich ab drei Uhr waren Übertragungen in Deutsch, Italienisch, Ungarisch, Russisch und Französisch zu hören:

sendemastO-Ton in deutscher und französischer Sprache aus dem BR-Schallarchiv | Sprecher: Dr. Georg Deyerler und Dr. Friedhelm Kemp

„Achtung, Achtung hier spricht FAB Freiheitsaktion Bayern. Sie hören nun eine Proklamation an die französischen Arbeiter in Bayern.

Hallo, Hallo! Achtung, Achtung! Hört, Hört! Hier spricht die Freiheitsaktion Bayern. Wir rufen die französischen Arbeiter und alle Franzosen in Bayern auf. Landsmänner! [   ] Die Stunde der Freiheit hat endlich geschlagen. Die Kapitulation steht unmittelbar bevor. Verhandlungen wurden begonnen. Der Naziklüngel wurde vernichtet. Wir hoffen, dass Ihr euch aktiv am Geschehen beteiligt. Franzosen, vereinigt euch für eine gute Sache, steht auf, verlasst eure Arbeit. Aber bewahrt Ruhe und Ordnung. Bildet Gruppen vereint in Leidenschaft, Willensstärke und Hoffnung auf einen Frieden, der unserer europäischen Zivilisation würdig ist. Franzosen, die ganze bayerische Bevölkerung wartet, dass ihr sie unterstützt im heldenhaften Kampf gegen den Nazi-Terror, unter dem sie in diesen zwölf Jahren zu sehr gelitten hat. Achtung, Achtung sie hörten einen Aufruf an die französischen Arbeiter in Bayern.“

Mathilde und die Soldaten jubelten. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass es so schnell klappen würde. Die Gruppe um Kaspar Niedermeyr, die mit den Sendungen beauftragt war, war zuletzt pessimistisch gewesen. Kamen doch die Übertragungen für die Sendungen aus einem Studio in der Münchner Ludwigstraße, was bedeutet, dass man von der Sendeanlage aus eigentlich nicht direkt senden konnte. Aber sie waren gut vorbereitet und schafften es mit einigen technischen Tricks.

Aber Mathildes Euphorie erhielt schnell einen Dämpfer. Hatte sich doch herausgestellt, dass sich der Reichsstatthalter Epp von Ottheinz Leiling und Rupprecht Gerngross nicht so schnell hat überzeugen lassen, den Alliierten im Namen der Aufständischen einen Waffenstillstand anzubieten. Deshalb waren sie nun mit ihm Richtung Freising unterwegs, wo der ältere und ranghöhere Leiter der Panzer-Ersatz-Abteilung 17, Major Alois Braun, Überzeugungsarbeit leisten sollte. Er hatte auch in der Nacht zuvor Leutnant Ludwig Reiter beauftragt, mit der Jagdpanzer-Kompanie 74 in Ismaning die Großsendeanlage zu besetzen. Von dieser Gruppe hörte man am Aumeister lange nichts. Zwischenzeitlich traf ein Teil des Grenadier-Ersatz-Bataillons 19 um Leutnant Helmut Putz am Stützpunkt ein. Sie waren erschrocken und niedergeschlagen. Mit 30 Mann hatten sie versucht den Gauleiter Paul Giesler im Zentralministerium an der Ludwigstraße festzusetzen. Aber bereits beim Versuch in das Gebäude hineinzukommen gab es Probleme und auf einmal schlugen Handgranaten neben ihnen ein, erzählte einer. Nur ein Teil der Gruppe konnte Richtung Norden fliehen. Auch die nächste Gruppe um Oberleutnant Hans Betz mit etwa 45 Soldaten vom Grenadier-Ersatz-Bataillon 61 brachte keine Erfolgsmeldungen. Sie konnten in Pullach nicht, wie geplant, den Oberbefehlshaber, General Siegfried Westphal festnehmen. Stattdessen hatten sie sieben SS-Soldaten mitgenommen und auf dem Rückweg das Münchner Rathaus besetzt. Hier fiel ihnen der verhasste NS-Profiteur Christian Weber in die Hände. Auch ihn hatten sie in ihrem Lastwagen dabei. Mathilde ging und schaute sich den kleinlaut zeternden beleibten Mann an. laswagenEr war eines der größten Feindbilder der Münchner und das nicht nur weil er keine Gelegenheit ausgelassen hatte, sich zu bereichern. Zerknirscht kam auch Leo Heuwing am Aumeister an. Er wollte  mit 15 Dolmetschern in Kempfenhausen den Generalstabsoffizier Stephani ausschalten, aber sie hatten ihn nicht finden können. Zumindest die Technik der dortigen Kommunikationsanlage hatten sie zerstören können. Auf die Frage, wie es der Gruppe in der Zeitungsdruckerei der Münchner Neuesten Nachrichten in der Sendlinger Straße erging, hatte keiner eine Antwort. Stunden später stellte sich heraus, dass der Druck von Flugblättern und einer Zeitung zur Information der Bevölkerung abgebrochen worden war, weil widersprüchliche Meldungen über einen Abzug eintrafen.

Die Verfolgung beginnt

Gegen 8:00 Uhr waren die Soldaten, die sich im Norden des Englischen Garten getroffen hatten die Isar entlang zur Großsendeanlage nach Ismaning aufgebrochen. Mathilde hatten sie nach Hause geschickt. Nur unter Protest stieg sie auf ihr Fahrrad und radelte in die Stadt zurück. Daheim angekommen, drehte sie den Volksempfänger auf. Sie konnte gerade noch hören, wie ein Sprecher den zehnten Punkt des FAB-Programms vorlas. Es wurde auch durchgesagt, dass die FAB, die Regierungsgewalt in München erstritten habe und die Bevölkerung wurde aufgefordert gegen die Nationalsozialisten vorzugehen. Mathilde wurde etwas mulmig, waren doch die Versuche die NS-Funktionäre zu entmachten allesamt gescheitert. Auch wenn sie müde war, hielt sie nichts zuhause.

Sie radelte wieder in die Saarstraße zur Kaserne. Dort erfuhr sie, dass die Sendungen von Ismaning aus bereits seit 6:00 Uhr morgens zu hören waren.
Leise freute sie sich, dass es nun auch mit dem zweiten Sender geklappt hat, der eine große Reichweite hatte. Mathilde hoffte, dass auch ihre Eltern in Penzberg die Durchsagen hören konnten. Auf einmal tat es einen dumpfen Schlag und eine Hand voll Volkssturm-Männer standen im Raum und verkündeten im zackigen Ton, dass sie die Kaserne besetzt hätten, alle Personen im Raum seien sofort festgenommen und sollten mitkommen. Mathilde, Maximilian Roth und zwei weitere Dolmetscher wurden ins Zentralministerium an der Ludwigstraße in die Befehlsstelle des Gauleiters gebracht. Dort brachten sie wiederum andere Volkssturmmänner in die Bunkeranlagen. Sie wurden in unterschiedliche kleinere Räume – ein Art von kleinen Telefonzentralen – gesperrt.

Haft im Zentralministerium

Der Raum, in dem Mathilde eingesperrt war, hatte ein kleines Fenster in der Tür, durch das sie das aufgeregte Treiben der Volkssturm-Männer und Mitarbeiter der Gauleitung beobachten konnte. Die verbissene Geschäftigkeit, mit der alle noch verfügbaren Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um die Aufständischen zum Schweigen zu bringen, ließ sie erschaudern.

Aus einem in der Nähe stehenden Volksempfänger hörte sie dann auf einmal Reden des Gauleiters und dann des Münchner Oberbürgermeisters Karl Fiehler. Jetzt war sie endgültig entmutigt. mikrophonDann war plötzlich wieder der FAB-Sender mit den Zehn-Punkten zu hören. Ab 11:00 Uhr aber kamen nur noch Meldungen seitens der NS-Machthaber. Mathilde schossen die Tränen in die Augen, sie war völlig erschöpft, versuchte sich aber trotzdem auf den Beinen zu halten, um zu sehen, was vor ihrer Zellentür passierte.

In einem stattlichen Offizier, der am Gang vorbeigeführt wurde, erkannte sie Günther Caracciola-Delbrück wieder. Er war der Adjutant des Reichsstatthalters Epp, der kurz zuvor vorbeigegangen war. Kein gutes Zeichen, da er doch den Waffenstillstand mit den Alliierten verhandeln hätte sollen. Wieder rumpelte es und einige Volkssturm-Männer schubsten einen Mann mit einem grauen Kittel den Gang entlang. Später sollte Mathilde erfahren, dass es Johann Scharrer aus der Rathausinspektion war. Er war von Christian Weber angezeigt worden, weil er den FAB-Leuten verraten hätte, wo sie ihn finden.

Schüsse im Zentralministerium

Die Tür des Raumes ging nachmittags erstmals auf, vier Männer wurden hereingeführt. Es stellte sich heraus, dass sie in Obermenzing gegen die Hitler-Jugend und den Volkssturm vorgegangen waren. Jemand hatte sie denunziert woraufhin man sie festnahm. Nachdem unklar war, ob sie jemand hören konnte, sprachen sie nur allgemeine Dinge miteinander.

Mathilde kam ins Grübeln, wie wird es Ottheinz und den anderen aus der Dolmetscher-Kompanie ergangen sein? Nachdem sie auch am Nachmittag nicht mit den insgesamt rund 20 Leuten kamen, die als Gefangene ins Ministerium gebracht worden waren, machte sie sich große Sorgen. Sie hatte Angst, dass sie sich nicht mehr hatten rechtzeitig verstecken können und erschossen worden seien. Sie war aber so müde, dass sie nun doch eindöste, schreckte aber bei jedem Geräusch wieder hoch. Kurz nachdem am späten Nachmittag Volkssturm-Männer Günther Caracciola-Delbrück hinausgeführt hatten, krachten mehrere Schüsse. Die Volkssturm-Männer kamen wieder zurück. Das gleiche geschah mit dem Mann im grauen Kittel, den einer der Zellen-Kollegen als den Rathausinspektor wiedererkannte. Auf einmal ging auch die Türe ihres Raumes auf, die vier Obermenzinger wurden nach und nach herausgeholt und weggeführt. Zum Glück kamen sie mit bleichen Gesichtern wieder zurück. Man habe ihnen lediglich gedroht, aber sie dann doch wieder zurückgeschickt. Die Nacht über war es ruhiger geworden in den Bunkeranlagen. Ab und an war das Gegröle betrunkener Soldaten zu hören. Unruhig schliefen die vier Insassen und Mathilde in ihrem Zellenraum.

Flucht aus dem Zentralministerium

Am Vormittag des 29. April schreckten die fünf wieder wegen krachender Schüsse auf. Im Vorbeigehen flüsterte später ein Dolmetscher Mathilde zu, dass er gerade zum Putzen der Einfahrt abgestellt worden war und dort neben viel Blut der Leiche des Dolmetschers Maximilian Roth und die eines angeblichen Waffenschiebers namens Heinrich Gerns habe liegen sehen. Mittags wurden neue Gefangene gebracht neben zwei Männern, die sie noch nie gesehen hatte, sah Mathilde mit Schrecken, dass die Eltern von Rupprecht Gerngross an ihrer Zellentür vorbeigeführt wurden.

Das Getuschel der Obermenzinger Mitinhaftierten riss Mathilde aus ihren Gedanken. Mit Gesten und Mimik gaben sie ihr zu verstehen, dass sie sich nahe bei ihnen aufhalten sollte. Es war ein geschäftiges Treiben ausgebrochen in den Bunkeranlagen, man ging daran das Zentralministerium zu räumen. Die Gefangenen sollten in den Wirtschaftshof kommen. Auf auto_kleineinmal rannten die Obermenzinger in die Richtung eines Wagens – Mathilde hinterher. So schnell konnten die Volkssturm-Männer gar nicht schauen, da fuhren sie schon mit dem Auto nach Norden davon. Die Bewacher waren so sehr mit ihrer eigenen Flucht vor den heranrückenden alliierten Truppen beschäftigt, dass sie sich nicht einmal die Mühe machten, dem Wagen zu folgen. Im Augenwinkel sah Mathilde noch einen Lastwagen mit vier ihr nicht bekannten Gefangenen und einigen Bewachern Richtung Süden fahren. Später im Jahr 1945 wurden ihre Leichen im Perlacher Forst gefunden. Es waren Harald Dohrn und Hans Quecke, die in Bad Wiessee festgenommen worden waren. Sie wurden erschossen obwohl sie nichts mit dem FAB-Aufstand zu tun hatten. Bei den beiden anderen Opfern Johann Pohlen und Karl Rupperti war überhaupt nicht mehr zu ermitteln, wie und warum sie überhaupt in Haft kamen. Auch die Hinrichtungsopfer aus dem Zentralministerium waren auf einem Lastwagen in das südlich von München gelegene Waldstück gebracht worden.

Mathilde war während ihrer Haft im Zentralministerium noch nicht einmal nach ihren Papieren gefragt worden. So fühlte sie sich relativ sicher, als sie sich von katzeObermenzing aus, abseits der großen Straßen, nach Schwabing zur elterlichen Wohnung durchschlug. Ihr Fahrrad an der Saar-Kaserne traute sie sich nicht zu holen. Ihr war gar nicht mehr recht danach die Wohnung überhaupt wieder zu verlassen. Die spärlichen Nachrichten aus dem Rundfunk waren diffus und unklar.

US-Soldaten in München

schwab_brMathilde hatte sich nicht mehr getraut hinauszugehen nach der Flucht aus dem Zentralministerium. Die Tage über war sie froh um die selbst eingeweckten Konserven, wegen derer sie sich oft genug lustig gemacht hatte über ihre Mutter. Wenn sie auf Zehenspitzen stehend auf dem Dachboden aus dem Fenster schaute, konnte sie in der Ferne sehen, dass die Militärfahrzeuge fast ausschließlich Richtung Süden fuhren. Fliegeralarm hatte es erstaunlicherweise auch schon lange keinen mehr gegeben. Deshalb traute sie sich nun in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, den 3. Mai 1945 das erste Mal wieder auf die Straße, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.

Im Dunkeln drückte sie sich an der Hauswand entlang, um über die menschenleere Leopoldstraße Richtung Süden zu gelangen. Die Schutthaufen getroffener Gebäude, die nur notdürftig zur Seite geräumt waren, machten alles etwas unübersichtlich. Als sie an der Ecke Franzstraße am Schwabinger Bräu auf einmal Schritte von schweren Stiefeln hörte, verbarg sie sich in einem dunklen Hauseingang.
Zum Glück hatte sie die drei US-Soldaten nicht gesehen. An einer Plakatwand hatte sie kurz zuvor nämlich lesen können, dass es strengsten verboten war, sich nachts draußen aufzuhalten. Obendrein hatte sie große Angst, weil schon seit einigen Monaten heftige Gerüchte kursierten, was die fremden Soldaten Deutschen und vor allem deutschen Frauen angeblich antun würden. Erschreckt und verstört kehrte sie schnell in den Schutz der elterlichen Wohnung zurück. Noch nie zuvor hatte sie sich so allein gefühlt.

Büros der FAB

Am Freitagmorgen, den 5. Mai 1945 beschloss Mathilde es nochmals zu versuchen, mit dem hinausgehen. Über die etwas kleinere Clemensstraße machte sie sich auf den Weg in Richtung Saarkaserne. Sie wollte endlich ihr Fahrrad holen. Sie kam gut durch. Auch hier waren einige Häuser getroffen und die Wohnungen wirkten ziemlich verlassen. An der Ecke Schleißheimerstraße kurz vor der Kaserne hörte sie einen Motor immer lauter tuckern. Ein Jeep der US-Armee kam auf Mathilde zu.
Ihr erster Reflex war eigentlich Laufen, aber sie wäre sowieso nicht schnell genug gewesen. Die beiden US-Soldaten musterten sie und kontrollierten ihre Papiere. Da stand sie, in ihren fadenscheinigen, staubigen Kleidern. Schmal im Gesicht, blass und frierend. Verstohlen musterte sie die Soldaten, sie waren frisch rasiert und proper. Der eine von beiden, ein Schwarzer, hatte ein strahlendes Lächeln unter einem etwas zu großen, schief sitzendem Helm. Der andere ein stattlicher dunkelhaariger Mann, mit einem charmanten Grübchen im Kinn und einem markanten Profil, spracht fast akzentfrei Deutsch mit ihr. Er fragte, wohin sie denn unterwegs sei. Sie fasste Vertrauen und schilderte ihre Situation, dass sie sich versteckt hatte und dass sie nicht wusste, was mit ihren Eltern und den FAB-Aktivisten passiert sei. Die Soldaten hatten zufällig die Rundfunkaufrufe gehört, konnten Mathilde aber über die anderen auch nicht mehr berichten. Zum Abschied warnten die beiden Sie, sich in Acht zu nehmen, weil sich noch zahlreiche Nationalsozialisten in der Stadt versteckten und es immer wieder Überfälle auf Passanten gab.

An der Kaserne stand das am Fahnenmast festgesperrte Fahrrad zum Glück noch da. Am Eingangstor der Kaserne hing folgender Zettel:

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Mathilde war wie elektrisiert. Sofort radelte sie in die beim Siegestor gelegene Schackstraße. schackstrasse_1Dort traf sie auf ein paar bekannte Gesichter aus der Dolmetscher-Kompanie. Sofort fragte sie nach Ottheinz und erfuhr, dass es im gut ginge, er hätte sich in München versteckt, bis die Amerikaner die Stadt erreicht hatten. Er sei recht umtriebig beim Versuch höhere Nationalsozialisten dingfest zu machen, die sich in München verborgen hielten. Bestimmt sei er gerade im anderen Büro in der Wasserburgerstraße, hatte aber angekündigt noch vorbeizuschauen. Deshalb wartete Mathilde in der Schackstraße auf Ottheinz. Irgendwann hatte sie völlig übersehen, dass es inzwischen dunkel geworden war. Wegen der Wasserburger StrasseAusgangssperre konnte sie nicht mehr nach Schwabing radeln. Auf einem Sofa legte sie sich hin. Sie schlief nur schwer ein. Sie hatte einigen von den Verhaftungen und Erschießungen im Zentralministerium erzählt. Das hatte sie aufgewühlt. Auch hatten einige Besucher des Büros erzählt, dass es Gerüchte über weitere Erschießungen draußen auf dem Land gegeben habe. Genaueres wusste aber niemand.

Penzberg

Nachdem sie endlich Ottheinz wieder getroffen hatte, verbrachte Mathilde ihre Zeit vor allem in den Büros der FAB. Ihn sah sie trotzdem nicht oft. Er war häufig bei der US-Militärregierung. So wurde er beispielsweise zu den Sendungen von Hagedorn, der einen Widerstandssender vorgetäuscht hatte, vom US-Geheimdienst befragt.

Eines Spätnachmittags standen Mathildes Eltern in den Räumen der Schackstraße. Die Familie Fahrbauer lag sich unter Tränen in den Armen. Die Eltern hatten sich solche Sorgen um Mathilde gemacht. Sie hatten in Penzberg schlimme Sachen erlebt und mitbekommen, dass die Kompanie, in der Mathilde arbeitet, am Aufstand in München beteiligt war. Sie kamen telefonisch aber nicht durch. Waren aber unsicher wegen der Verhältnisse, weshalb sie sich nicht sofort nach München zurück trauten. Als die Eltern schließlich in die Stadt kamen und die Wohnung verlassen vorgefunden hatten, befürchteten sie das Schlimmste. Dann aber fanden sie den Zettel, den Mathilde vorsorglich auf den Kasten im Gang gelegt hatte. Sofort machten sie sich auf den Weg in die Schackstraße.

Nachdem sich alle wieder ein wenig beruhigt hatten, erzählten die Eltern erschüttert und zum Teil unter Tränen von dem Erlebten in Penzberg. Dort hatten ihre Freunde und weitere Stadtbewohner die FAB-Aufrufe gehört. Der ehemalige Bürgermeister machte sich mit einigen Männern daran die Sprengung des Penzberger
Kohlebergwerks zu verhindern. Er nahm auch Kontakt zu ZwangsarbeiterInnen auf und schließlich ging die Gruppe ins Rathaus, um den NS-Bürgermeister abzulösen. Für den Nachmittag hatten die Aktivisten eine Versammlung für die Bewohner Penzbergs anberaumt. Mathildes Eltern wollten dort auch hingehen, um zu erfahren, wie es nun weiter gehe. Aber dazu kam es nicht. Nachdem über den Rundfunk wieder der Gauleiter zu hören war und deutlich wurde, dass der Aufstand gescheitert war, wurde es unruhig in Penzberg. Eine Wehrmachtseinheit verhängte schließlich eine Ausgangssperre und nahm die Aktivisten im Penzberger Rathaus fest. Sieben Männer brachten die Wehrmachtssoldaten zu einem Waldstück, wo sie die Festgenommenen nacheinander an einen Baum fesselten und erschossen. Unter den Todesopfern war auch ein Nachbar der Freunde gewesen, bei denen die Fahrbauers wohnten. Nachts schreckten die Eltern schließlich von lauten Motorengeräuschen auf. Durch ein Fenster mussten sie beobachten, wie weitere Aufständische verfolgt wurden. Die Volkssturmmänner aus München erhängten, sechs Männer und zwei Frauen – eine davon schwanger – in den Straßen Penzbergs. Sie hängten den Opfern Schildern um den Hals, auf denen „Werwolf“ stand. Neun weitere Männer wurden verfolgt: Sieben konnten fliehen, auf zwei wurde geschossen, mit Glück überlebten sie, ein dritter erlag seinen Schussverletzungen. Obwohl bis zu ihrer Abreise schon einige Tage vergangen waren, seien die
Bewohner Penzbergs immer noch schwer traumatisiert, von der unaussprechlichen Grausamkeit, der eigenen Hilflosigkeit und dem Wissen um die Denunzianten, die eine Liste der am Aufstand Beteiligten erstellt hatten. Die Fahrbauers hatten gerüchtehalber von ähnlichen Taten an anderen bayerischen Orten gehört, aber sie wussten nichts Konkretes.

 

Die Kapitulation der deutschen Streitkräfte

Um diese Zeit, am 8. Mai um 23:01 Uhr vor 70 Jahren trat die Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Kraft.

Das Bild zeigt Generaloberst Alfred Jodl beim Unterzeichnen der Kapitulation. Darunter ein Ausschnitt aus dem Schriftstück, das er unterschrieben hat.

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Bundesarchiv|Militärarchiv: Dokumente und Beschreibung zur Kapitulation im Mai 1945

„Mensch ärgere Dich nicht…“

Die Kapitulation am 8. Mai 1945 besiegelte schließlich auch das offizielle Ende des Krieges. Anschließend US-Militärbehörden begannen Schritt für Schritt demokratische Strukturen aufzubauen. Ziel war es, in den folgenden Jahren, Deutschlands Bevölkerung bis hin zu Straßennamen und Denkmalen zu entnazifizieren. Mit vielen Angeboten, neuen nach US-amerikanischem Vorbild gestaltete Zeitungen sowie Zeitschriften und dem Rundfunksender „Radio München“ begann die so genannte Reeducation. Der fanatische nationalsozialistische Nachbar der Fahrbauers, der zuletzt bei der SS in Dachau andere SS-Soldaten ausbildete, kam ins Dachauer Internierungslager. Seine Frau und die beiden Kinder mussten in ein Zimmer der Wohnung zusammenrücken. In den anderen Räumen wurden deutsche Flüchtlinge aus dem Sudetenland und Ostpreußen einquartiert. In manchen Zeiten waren auf den sechzig Quadratmetern sechszehn Menschen notdürftig untergebracht. Auch bei den Fahrbauers wohnte eine weitschichtig verwandte Familie. Sie stammten aus Gablonz an der Neiße, einer für ihre Glas- und Schmuckproduktion bekannten böhmischen Stadt. Bald siedelten sie wie viele andere ehemalige Nachbarn nach Kaufbeuern über. Der Ortsteil wurde später sogar in Neugablonz umbenannt und auch die Glas- und Schmuckproduktion wurde wieder aufgenommen.schuttberg

Ansonsten fehlte es so ziemlich an allem, vor allem Lebensmittel und Baustoffe waren knapp. Trotzdem begannen die zurückgekehrten Bewohner in der Stadt aufzuräumen und die Häuser wieder aufzubauen. Im Nordteil des Luitpoldparks, nahe der Trambahnstrecke wuchs ein großer Schuttberg.

Die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene und Überlebenden der Konzentrationslager wurden von der eigens gegründeten UNO-Organisation UNRRA betreut. Als Displaced Persons, kurz DPs genannt, mussten sie oft trotzdem in den Lagern bleiben und sollten von dort aus schließlich in ihre Herkunftsstaaten transportiert werden. Schnell hatten sich Gerüchte herumgesprochen, wonach vor allem im Osten den Zurückgekehrten feindselig begegnet wurde, weshalb viele Menschen nicht mehr zurück wollten. Auch jüdische DP’s waren zum Teil lang noch in Lagern, weil sie nirgendwo hin konnten.

meldebogen

Währenddessen führten die US-Behörden Spruchkammern ein. Alle mussten Fragebögen zu ihrem Engagement im NS-Staat ausfüllen. Nur wer nicht belastet war, durfte wieder arbeiten. Spruchkammern stuften anhand der Fragebögen NSDAP-Mitglieder in verschiedene Belastungskategorien ein.

Bei diesen Verfahren konnten belastende Materialen, aber auch entlastende Aussagengesetz

eingebracht werden. Deshalb wurden zahllose so genannte Persilscheine ausgestellt. Zur Entlastung des internierten Vaters baten die Nachbarn der Fahrbauers auch um ein solches Schriftstück. Vater Fahrbauer tat aber so, als hätte er es nicht richtig verstanden und ging seitdem der Nachbarin lieber aus dem Weg. Die schwächer belasteten Nationalsozialisten kamen zuerst an die Reihe. Sie sollten schnell erledigt werden, damit sie als dringend benötigte Arbeitskräfte bald wieder arbeiten gehen konnten. Die stark belasteten Fälle rutschten so in spätere Phasen, in denen auf Grund der politischen Großwetterlage, nur noch harmlose Einstufungen vorgenommen wurden. So schaffte es auch der belastete Nachbar wieder als Beamter in den Staatsdienst zu kommen. Er entschied in den 1950er Jahren über Widergutmachungsanträge jüdischer Überlebender. Diese Anträge erwiesen sich im Allgemeinen als recht zähe Verfahren und zogen sich oft über Jahrzehnte hin.

wiedergutmachung

 Karikatur "Mensch ärgere Dich nicht über die Wiedergutmachung", 
aus dem Jahr 1950 aus der Allgemeinen Wochenzeitung der 
Juden in Deutschland (heute Jüdische Allgemeine). 
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Ein Verwandter der jüdischen Nachbarsfamilie, die in den 1930er Jahren nach Milbertshofen gezogen war, stand Anfang der 1960er Jahre vor der Wohnungstüre der betagten Eltern Fahrbauer. Er habe mit großem Aufwand die Adresse ermittelt und sei nach München gekommen, um nach seiner Familie zu forschen. Deren Spur habe sich noch auf einer Transportliste in das Konzentrationslager Auschwitz nachweisen lassen, dann aber verloren. Erschüttert versuchten die Fahrbauers alle Erinnerungen zusammenzuklauben. Es war ja so viel passiert in der Zwischenzeit. Aber sogar die Suche nach einer Fotografie, auf der die gesamte Familie der ehemaligen Nachbarn zu sehen war, endete leider erfolglos.

Münchner Freiheit

 

 mann_kopfMathilde hatte großes Glück, sie konnte bei Radio München arbeiten. Dort berichtete sie unter anderem auch kritisch über die schwierige Entnazifizierung. Ein Kollege von Mathilde, der Kommentator Herbert Gessner, geriet darüber in einen Auseinandersetzung mit dem zuständigen Sonderminister und musste seinen Dienst quittieren. Er ging daraufhin nach Berlin in die Sowjetische Besatzungszone. Ab 1946 war Mathilde auch im Redaktionskreis der Zeitschrift „Ende und Anfang“. Sie war vom weitaus jüngeren ehemaligen Soldaten Franz Josef Bautz gegründet worden und begleitete die Nachkriegspolitik kritisch. Dank einiger Freunde auf dem Land und ihrem Schrebergarten kamen die Fahrbauers einigermaßen über die Runden. Aber auch für sie waren die Jahre 1946/47 wegen der extremen Kälte und den Folgen für die Ernährung eine schwierige Zeit.

Um die Leute der Freiheitsaktion Bayern war es bald stiller geworden. Die Militärregierung hatte aus nicht direkt nachvollziehbaren Gründen, die FAB am 17. Mai verboten. Irgendwann sickerte durch, dass die FAB mit eigenmächtigen Beschlagnahmungsaktionen und einem Raubmord in Verbindung gebracht worden war. Einige hatten es anschließend trotzdem geschafft, sich vom Münchner Oberbürgermeister Ausweise ausstellen zu lassen.

Im Dezember 1946 entschied die Stadt, die ehemalige Danziger Freiheit, die seit dem Kriegsende wieder Feilitzschplatz hieß, in Münchner Freiheit umzubenennen. Diese Umbenennung sollte an die Freiheitsaktion Bayern und ihre Aktivisten erinnern. Mathildes Vater fand, das sei ein gestelztermüfrei Name. Deshalb sagte er weiterhin Feilitzschplatz und wurde auch verstanden. Er kicherte immer etwas in sich hinein, wenn wirklich jemand Münchner Freiheit sagte und tat immer so, als wüsste er gar nicht, wo sie sei.

Folgeaktionen und Todesopfer

Alois Braun und Mathilde trafen sich noch manchmal zum Kaffee. Er hatte die Panzerabteilung in Freising geleitete, die sich auch am FAB-Aufstand beteiligt hatte. Nun war er im Kultusministerium tätig.

In der Süddeutschen Zeitung rief er dazu auf, Berichte über den Widerstand gegen das NS-Regime in Bayern an ein eigens eingerichtetes Archiv zu senden. Es gingen viele Berichte ein, sie stammten nicht nur von FAB-Aktivisten sondern auch von anderen Gruppen. Das Archiv bestand wie vieles in dieser Nachkriegsphase nur knapp ein Jahr. Durch die Berichte und erste Gerichtsverfahren wurde dokumentiert, was nach den FAB-Aufrufen über den Rundfunk am 28. April 1945 im Süden Bayerns alles passiert war. Durch die Aufrufe motiviert, unternahmen knapp tausend Personen an 78 Orten in ganz Bayern den Versuch, gegen die NS-Machthaber vor Ort vorzugehen und Verteidigungsmaßnahmen zu verhindern. Sie widersetzten sich damit den Durchhalteparolen und der Endsieg-Propaganda der Nationalsozialisten, indem sie weiße Fahnen hissten, Panzersperren wegräumten oder lokale NS-Anhänger festsetzten. Wie es die Eltern Fahrbauer in Penzberg erlebt hatten, eskalierte die Situation auch an anderen Orten sobald der Gauleiter von München und Oberbayern über den Rundfunk zu hören war und deutlich wurde, dass der FAB-Aufstand gescheitert war.

In Allach-Untermenzing, am Münchner Gärtnerplatz und in Sendling erschossen FAB-Sympathisanten Anhänger des NS-Regimes. In 16 weiteren Fällen ermordeten NS-Funktionäre 54 Menschen, die den FAB-Aufrufen gefolgt waren: Im Münchner Stadtteil Giesing erschoss ein SS-Soldat einen Mann, weil er eine weiße Fahne aus dem Fenster gehängt hatte. Wegen ähnlicher Aktionen sollten im Stadtteil Westend zwei Männer erhängt werden – sie entgingen nur knapp dem Tod, weil der Strick riss. Polizisten erschossen einen Bürger aus Mering auf
der Flucht. Er hatte den Rundfunkaufruf der Freiheitsaktion weiterverbreitet und war deshalb festgenommen worden. In Dachau kam es nach der Besetzung des Rathauses zu einer Schießerei, bei der sieben Menschen getötet wurden. SS-Soldaten erhängten einen Landshuter, weil er zwei weiß-blaue Fahnen gehisst hatte. Fünf als Aufständische verdächtigte Altöttinger wurden von SS-Soldaten hingerichtet, das sechste Opfer war der Altöttinger Landrat, der sich wahrscheinlich selbst erschoss. In Burghausen töteten SS-Soldaten drei Werksangehörige der Wacker-Chemie GmbH, die zusammen mit Kollegen die Fabrik vor der befürchteten Zerstörung schützen wollten. Der Pfarrer und der Lehrer von Götting, die eine weiß-blaue Fahne am Kirchturm aufgehängt hatten, wurden ebenfalls Opfer von SS-Offizieren. FAB-Sympathisanten, die am 3. Mai als Parlamentäre das Tegernseer Tal an US-Einheiten übergeben wollten, wurden, obwohl sie eine Passiererlaubnis hatten, in Bad Wiessee von SS-Soldaten beschossen. Zwei von ihnen erlagen ihren Verletzungen. Bei Iffeldorf wurde ein kriegsversehrter Oberleutnant hingerichtet, weil er sich an einer Entwaffnungsaktion beteiligt hatte. In der Nähe seiner Leiche fand man einen erschossenen polnischen Zwangsarbeiter, wobei seine Todesumstände ungeklärt sind.

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Übersichtskarte: nicht eskalierten und eskalierten Folgeaktionen nach den FAB-Aufrufen
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Mathilde hatte als Zeugin bei den Verfahren gegen die Volkssturm-Männer aus dem Zentralministerium aussagen müssen. Sie hatte ja leider kaum etwas sehen können von ihrer Zelle aus. Im Zuge des Verfahrens hat sich herausgestellt, dass im Hof des Ministeriums und nach einem Transport in den Perlacher Forst insgesamt neun Menschen erschossen worden waren. Der ehemalige Gauleiter Paul Giesler, der die Verfolgung befohlen hatte, konnte nicht mehr vor Gericht gestellt werden. Er hatte sich nach der Flucht in Berchtesgaden das Leben genommen.
Wie die Beschuldigten in den anderen Verfahren auch, beriefen sich die ehemaligen Volkssturm-Männer darauf, dass Sie mit ihren Taten nur Befehle ausgeführt hatten. Durch die Bank verliefen die Verfahren nach ähnlichen Mustern: Wenn Denunzianten und Täter überhaupt identifiziert werden konnten, machten sie geltend, dass sie nur Befehle ausgeführt hätten. Die Urteile fielen häufig mild aus und wurden dann nach Revisionen noch stark reduziert oder sogar in Freisprüche umgewandelt.

Berganger

bergangerEin Freund von Mathildes Vater war als Geistlicher für die Expositur Berganger bei Glonn rund 40 Kilometer südöstlich von München zuständig. Anfang der 1950er Jahre kamen sie einmal auf die Freiheitsaktion Bayern und ihre Folgen zu sprechen. Der Geistliche erzählte, dass es auch in Berganger einen Vorfall mit einem Toten gegeben habe, wollte aber nicht recht mit der Sprache herausrücken. Zu nah waren die Ereignisse und die Beteiligten, denen man tagtäglich begegnete.

2011 stieß Günter Staudter bei der Vorbereitung einer Ortschronik von Berganger auf entsprechende Hinweise. In den zusammengetragenen Unterlagen stellte sich das Geschehen folgendermaßen dar: Die Rundfunkaufrufe der FAB waren auch in Berganger gehört worden. Damit der Volkssturm den Ort nicht mehr verteidige, planten einige Männer, die Entwaffnung des Hauptlehrers, der den Volkssturm leiten sollte. Vier oder Fünf Männer aus dem Ort gingen deshalb zu ihm und forderten die rund 40 Gewehre herauszugeben. Der Lehrer verweigerte eine Herausgabe, wahrscheinlich kam es zu einem Handgemenge, weil die Männer dachten, der Lehrer würde eine Waffe aus seiner Tasche holen. Aus dem Hintergrund fiel ein Schuss, den die Tochter des Lehrers aus einem Gewehr abgegeben hatte. Johann Huber, dem der Bauernhof in der Nachbarschaft gehörte, fiel tödlich getroffen zu Boden. Die Handgreiflichkeiten gingen weiter. Von der Tochter herbeigeholte Soldaten zwangen die anderen Beteiligten zur Flucht. Es gelang ihnen sich bis zum Eintreffen der US-Truppen in Berganger zu verstecken In Gerichtsverfahren nach dem Ende des Krieges, deren Akten allerdings nicht mehr auffindbar sind, wurde die Tochter des Lehrers, die laut ihrer Aussage nur einen Warnschuss abgeben wollte, freigesprochen.

Zeitsprung – Rückblick

Am 17. Mai 1985 landet Mathilde als ältere Frau in München-Riem. Sie denkt zurück an diesen Tag vor 40 Jahren. Die US-Militärbehörde hatte die Tätigkeiten der FAB und die Organisation an sich verboten. Auch wenn einige versuchten die Kreise der Aktiven zusammenzuhalten, waren doch die meisten mit den Herausforderungen der Nachkriegszeit beschäftigt. Ihr war es ja auch ähnlich gegangen. Ihr Arbeitgeber Radio München wurde Anfang 1949 zum Bayerischen Rundfunk. Mathilde hatte schon einige Zeit vorher dort aufgehört, um in ihren alten Bereich Architektur zurück zu wechseln. Während ihrer Arbeit beim Rundfunk hatte sie Anselm Miller aus New York kennengelernt. Er war bei der Invasion in der Normandie dabei gewesen. Und wegen seines Hobbys als Amateurfilmer war er bei der Einheit eingesetzt, die nach der Befreiung im Konzentrationslager Dachau filmte. Seine anschließende Tätigkeit bei Radio München für die Reeducation in der US-Besatzungszone war stark vom Gesehenen geprägt. Er konnte nur schwer verstehen, warum die Menschen, die anderen solch grausame Dinge angetan hatten, nicht mit mehr Nachdruck gesucht und verurteilt wurden. Diese vielen kleinen Ungerechtigkeiten ließen ihn manchmal schier an seiner Arbeit verzweifeln. Mathildes Standpunkt war hier etwas indifferenter, sie selbst hatte ja die Jahre über mitbekommen, was das NS-Regime mit den Menschen machte. Anselm sah das anders, schließlich habe Mathilde ja selbst – wenn auch erst am Ende des Krieges – nur um Haaresbreite überlebt, obwohl sie schon im Zentralministerium inhaftiert war. Allerdings, meinte sie, sie sei ja nur zufällig in die Ereignisse um die FAB hineingeraten, weil sie bei der Dolmetscher-Kompanie beschäftigt war. Aber Anselm entgegnete, dass sie deshalb ja trotzdem newyorkein hohes Risiko für ihr Leben eingegangen sei, indem sie versuchte sich am Aufstand gegen die Nationalsozialisten zu beteiligen. Sie hätte ja auch einfach daheim in der sicheren Wohnung bleiben können. Oft saßen sie abends am Küchentisch und diskutierten darüber. Mit den zunehmenden Spannungen zwischen Ost und West wurden ehemalige Nationalsozialisten immer rascher wieder in die deutsche Gesellschaft integriert. Mit Spannung verfolgte Anselm die Nürnberger Prozesse, war aber auch mit deren Urteilen nicht zufrieden. Als er die Möglichkeit bekam, den Militärdienst zu verlassen, zog es ihn zurück in die USA.

Mathilde entschied sich, ihn zu begleiten. Auch wenn es ihr schwer fiel ihre Eltern und Freunde in München zurückzulassen. Vor ihrer Abreise traf sie nochmals einige Ehemalige aus der FAB: Ottheinz war inzwischen  Justiziar des Bayerischen Rundfunks geworden, Leo Heuwing hatte gerade eine Karriere als Architekt begonnen. 1956 sollte er Verwaltungsdirektor des Deutschen Museums werden und Rupprecht Gerngross war als Anwalt tätig.

gedenktafelNun im Jahr 1985 wollte sie ein paar Freunde besuchen und sich die 1981 an der Münchner Freiheit angebrachte Gedenktafel ansehen. Beinahe hätte sie die bronzene, langgezogene Tafel am Ende der östlich gelegenen Rollstuhlrampe nicht gefunden. Mit der U-Bahn fuhr sie dann schließlich auch die drei Station zum Odeonsplatz. Das erste Mal seit 40 Jahren betrat sie das Gebäude in der Ludwigstraße, in dem sie Ende April 1945 inhaftiert gewesen war. Jetzt war es das tafel_lawiLandwirtschaftsministerium. Im Innenhof hatte man auch dort zum Gedenken der Todesopfer eine steinerne Tafel angebracht. Nur zaghaft näherte sie sich dem Tor durch das man in den angrenzenden Hof schauen konnte, in dem einige der Opfer erschossen worden waren.