„Achtung, Achtung hier spricht FAB – Freiheitsaktion Bayern…“

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Mathilde konnte das nicht, einfach nur in dieser Kaserne sitzen und warten. Unter dem Vorwand, sie sei müde, verabschiedete sie sich von Maximilian Roth. Sie radelte auch wirklich nach Hause, aber eigentlich nur um sich wärmere Sachen anzuziehen, um dann weiter durch den Englischen Garten Richtung Norden zu fahren. Sie hatte aufgeschnappt, dass am Aumeister ein Stützpunkt für die Soldaten sein solle. Und tatsächlich traf sie auf einige Dolmetscher. Alle Versuche, sie wegen der Gefahr wieder heimzuschicken, konnte sie abwehren und irgendwann gaben es die Soldaten auf.

Sie durfte bleiben. Immer wieder trafen Melder und Funksprüche aus unterschiedlichen Gruppen ein. Auch Gerngross war kurz mit einem Wagen vorbeigekommen und dann Richtung Norden weitergefahren. Ottheinz, der in einem anderen Wagen saß hatte sie zum Glück in der ganzen Aufregung gar nicht bemerkt. Er hätte sie sicher nach Hause geschickt.

 

Inzwischen war es kurz vor 3:00 Uhr morgens. Angespannt warteten alle vor einem Rundfunkgerät. Etwa eine Stunde zuvor hatte sich ein Trupp zum nahegelegenen Wehrmachtssender in Freimann aufgemacht, um von dort aus Aufrufe an die Bevölkerung zu senden. Und tatsächlich ab drei Uhr waren Übertragungen in Deutsch, Italienisch, Ungarisch, Russisch und Französisch zu hören:

sendemastO-Ton in deutscher und französischer Sprache aus dem BR-Schallarchiv | Sprecher: Dr. Georg Deyerler und Dr. Friedhelm Kemp

„Achtung, Achtung hier spricht FAB Freiheitsaktion Bayern. Sie hören nun eine Proklamation an die französischen Arbeiter in Bayern.

Hallo, Hallo! Achtung, Achtung! Hört, Hört! Hier spricht die Freiheitsaktion Bayern. Wir rufen die französischen Arbeiter und alle Franzosen in Bayern auf. Landsmänner! [   ] Die Stunde der Freiheit hat endlich geschlagen. Die Kapitulation steht unmittelbar bevor. Verhandlungen wurden begonnen. Der Naziklüngel wurde vernichtet. Wir hoffen, dass Ihr euch aktiv am Geschehen beteiligt. Franzosen, vereinigt euch für eine gute Sache, steht auf, verlasst eure Arbeit. Aber bewahrt Ruhe und Ordnung. Bildet Gruppen vereint in Leidenschaft, Willensstärke und Hoffnung auf einen Frieden, der unserer europäischen Zivilisation würdig ist. Franzosen, die ganze bayerische Bevölkerung wartet, dass ihr sie unterstützt im heldenhaften Kampf gegen den Nazi-Terror, unter dem sie in diesen zwölf Jahren zu sehr gelitten hat. Achtung, Achtung sie hörten einen Aufruf an die französischen Arbeiter in Bayern.“

Mathilde und die Soldaten jubelten. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass es so schnell klappen würde. Die Gruppe um Kaspar Niedermeyr, die mit den Sendungen beauftragt war, war zuletzt pessimistisch gewesen. Kamen doch die Übertragungen für die Sendungen aus einem Studio in der Münchner Ludwigstraße, was bedeutet, dass man von der Sendeanlage aus eigentlich nicht direkt senden konnte. Aber sie waren gut vorbereitet und schafften es mit einigen technischen Tricks.

Aber Mathildes Euphorie erhielt schnell einen Dämpfer. Hatte sich doch herausgestellt, dass sich der Reichsstatthalter Epp von Ottheinz Leiling und Rupprecht Gerngross nicht so schnell hat überzeugen lassen, den Alliierten im Namen der Aufständischen einen Waffenstillstand anzubieten. Deshalb waren sie nun mit ihm Richtung Freising unterwegs, wo der ältere und ranghöhere Leiter der Panzer-Ersatz-Abteilung 17, Major Alois Braun, Überzeugungsarbeit leisten sollte. Er hatte auch in der Nacht zuvor Leutnant Ludwig Reiter beauftragt, mit der Jagdpanzer-Kompanie 74 in Ismaning die Großsendeanlage zu besetzen. Von dieser Gruppe hörte man am Aumeister lange nichts. Zwischenzeitlich traf ein Teil des Grenadier-Ersatz-Bataillons 19 um Leutnant Helmut Putz am Stützpunkt ein. Sie waren erschrocken und niedergeschlagen. Mit 30 Mann hatten sie versucht den Gauleiter Paul Giesler im Zentralministerium an der Ludwigstraße festzusetzen. Aber bereits beim Versuch in das Gebäude hineinzukommen gab es Probleme und auf einmal schlugen Handgranaten neben ihnen ein, erzählte einer. Nur ein Teil der Gruppe konnte Richtung Norden fliehen. Auch die nächste Gruppe um Oberleutnant Hans Betz mit etwa 45 Soldaten vom Grenadier-Ersatz-Bataillon 61 brachte keine Erfolgsmeldungen. Sie konnten in Pullach nicht, wie geplant, den Oberbefehlshaber, General Siegfried Westphal festnehmen. Stattdessen hatten sie sieben SS-Soldaten mitgenommen und auf dem Rückweg das Münchner Rathaus besetzt. Hier fiel ihnen der verhasste NS-Profiteur Christian Weber in die Hände. Auch ihn hatten sie in ihrem Lastwagen dabei. Mathilde ging und schaute sich den kleinlaut zeternden beleibten Mann an. laswagenEr war eines der größten Feindbilder der Münchner und das nicht nur weil er keine Gelegenheit ausgelassen hatte, sich zu bereichern. Zerknirscht kam auch Leo Heuwing am Aumeister an. Er wollte  mit 15 Dolmetschern in Kempfenhausen den Generalstabsoffizier Stephani ausschalten, aber sie hatten ihn nicht finden können. Zumindest die Technik der dortigen Kommunikationsanlage hatten sie zerstören können. Auf die Frage, wie es der Gruppe in der Zeitungsdruckerei der Münchner Neuesten Nachrichten in der Sendlinger Straße erging, hatte keiner eine Antwort. Stunden später stellte sich heraus, dass der Druck von Flugblättern und einer Zeitung zur Information der Bevölkerung abgebrochen worden war, weil widersprüchliche Meldungen über einen Abzug eintrafen.