Danziger Freiheit

dz_frh_schr

Dass der Feilitzschplatz, an dem Mathilde Fahrbauer wohnte,danziger_freiheit in Danziger Freiheit umbenannt worden war, hatte sie kaum bemerkt. Sie war nämlich verliebt in diesen Dezembertagen des Jahres 1933. Mathilde hatte ihn beim Punsch am Markt kennengelernt. Ottheinrich Leiling, der von allen Ottheinz genannt wurde, war nur zwei Jahre älter als sie und gerade mitten in seinem Jurastudium. Auch wenn ihre Mutter wegen des Regierungswechsels beunruhigt war, Mathilde war sich sicher, dass es nicht lange dauern würde mit den Nationalsozialisten. Die Regierungen wechselten ja sowieso ständig. Mathilde wartete auf eine Antwort von Ottheinz auf ihren Brief oder vielleicht sogar einen Anruf – manchmal konnte sie das Telefon der Nachbarn benutzen. Ihr Vater war der Meinung, dass sie nicht bei jeder Mode mitmachen müssten, würde ja das neue Rundfunkgerät schon genug Lärm machen.

Im August 1939 – Mathilde machte gerade ihre ersten beruflichen Erfahrungen in einem Bauzeichnerbüro in Rottach-Egern – war auch ihr klar geworden, dass Adolf Hitler und die NSDAP wohl so schnell nicht mehr die Macht aus der Hand geben würden. In ihrem Freundes- und KollegInnenkreis waren die Einschätzungen recht unterschiedlich. Viele gingen auf in Kameradschaft, NS-Studentenbund oder Reichsarbeitsdienst und fühlten sich wohl in der neuen Gemeinschaft, die Deutschland wieder zu internationaler Anerkennung zu verhelfen schien. Andere beobachteten die Gleichschaltung und Militarisierung aller Bereiche mit Unbehagen, beteiligten sich, wo sie mussten.

Ein Einschnitt für Mathilde war 1934 die Flucht ihres kommunistischen Nennonkels Ludwig Ficker in die Schweiz. Viele seiner Genossen und Freunde waren nach Dachau in das dort neu errichte Konzentrationslager gebracht worden. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, dass es dort grausam zugehen würde. Die Nachbarn mit dem Telefon hatten umziehen müssen. Sie waren Juden, was bis zu den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 keiner wusste, weil es keine Rolle gespielt hatte. Die sechsköpfige Familie zog in eine kleine Wohnung im Stadtteil Milbertshofen. Die Leitung ihres kleinen Kolonialwarenladens übertrugen sie auf einen arischen Geschäftsführer. Der anfänglich noch bestehende Kontakt riss irgendwann Ende der 1930er Jahre ab. Mathilde hatte nur noch gehört, dass die Familie in östliche Gebiete umgesiedelt worden war. Auch zu diesen Massenumsiedlungen gab es Gerüchte über Erschießungen und Arbeitslager, die aber so unwahrscheinlich klangen, dass sie nicht sicher war, ob sie das glauben sollte.