Penzberg

Nachdem sie endlich Ottheinz wieder getroffen hatte, verbrachte Mathilde ihre Zeit vor allem in den Büros der FAB. Ihn sah sie trotzdem nicht oft. Er war häufig bei der US-Militärregierung. So wurde er beispielsweise zu den Sendungen von Hagedorn, der einen Widerstandssender vorgetäuscht hatte, vom US-Geheimdienst befragt.

Eines Spätnachmittags standen Mathildes Eltern in den Räumen der Schackstraße. Die Familie Fahrbauer lag sich unter Tränen in den Armen. Die Eltern hatten sich solche Sorgen um Mathilde gemacht. Sie hatten in Penzberg schlimme Sachen erlebt und mitbekommen, dass die Kompanie, in der Mathilde arbeitet, am Aufstand in München beteiligt war. Sie kamen telefonisch aber nicht durch. Waren aber unsicher wegen der Verhältnisse, weshalb sie sich nicht sofort nach München zurück trauten. Als die Eltern schließlich in die Stadt kamen und die Wohnung verlassen vorgefunden hatten, befürchteten sie das Schlimmste. Dann aber fanden sie den Zettel, den Mathilde vorsorglich auf den Kasten im Gang gelegt hatte. Sofort machten sie sich auf den Weg in die Schackstraße.

Nachdem sich alle wieder ein wenig beruhigt hatten, erzählten die Eltern erschüttert und zum Teil unter Tränen von dem Erlebten in Penzberg. Dort hatten ihre Freunde und weitere Stadtbewohner die FAB-Aufrufe gehört. Der ehemalige Bürgermeister machte sich mit einigen Männern daran die Sprengung des Penzberger
Kohlebergwerks zu verhindern. Er nahm auch Kontakt zu ZwangsarbeiterInnen auf und schließlich ging die Gruppe ins Rathaus, um den NS-Bürgermeister abzulösen. Für den Nachmittag hatten die Aktivisten eine Versammlung für die Bewohner Penzbergs anberaumt. Mathildes Eltern wollten dort auch hingehen, um zu erfahren, wie es nun weiter gehe. Aber dazu kam es nicht. Nachdem über den Rundfunk wieder der Gauleiter zu hören war und deutlich wurde, dass der Aufstand gescheitert war, wurde es unruhig in Penzberg. Eine Wehrmachtseinheit verhängte schließlich eine Ausgangssperre und nahm die Aktivisten im Penzberger Rathaus fest. Sieben Männer brachten die Wehrmachtssoldaten zu einem Waldstück, wo sie die Festgenommenen nacheinander an einen Baum fesselten und erschossen. Unter den Todesopfern war auch ein Nachbar der Freunde gewesen, bei denen die Fahrbauers wohnten. Nachts schreckten die Eltern schließlich von lauten Motorengeräuschen auf. Durch ein Fenster mussten sie beobachten, wie weitere Aufständische verfolgt wurden. Die Volkssturmmänner aus München erhängten, sechs Männer und zwei Frauen – eine davon schwanger – in den Straßen Penzbergs. Sie hängten den Opfern Schildern um den Hals, auf denen „Werwolf“ stand. Neun weitere Männer wurden verfolgt: Sieben konnten fliehen, auf zwei wurde geschossen, mit Glück überlebten sie, ein dritter erlag seinen Schussverletzungen. Obwohl bis zu ihrer Abreise schon einige Tage vergangen waren, seien die
Bewohner Penzbergs immer noch schwer traumatisiert, von der unaussprechlichen Grausamkeit, der eigenen Hilflosigkeit und dem Wissen um die Denunzianten, die eine Liste der am Aufstand Beteiligten erstellt hatten. Die Fahrbauers hatten gerüchtehalber von ähnlichen Taten an anderen bayerischen Orten gehört, aber sie wussten nichts Konkretes.