Folgeaktionen und Todesopfer

Alois Braun und Mathilde trafen sich noch manchmal zum Kaffee. Er hatte die Panzerabteilung in Freising geleitete, die sich auch am FAB-Aufstand beteiligt hatte. Nun war er im Kultusministerium tätig.

In der Süddeutschen Zeitung rief er dazu auf, Berichte über den Widerstand gegen das NS-Regime in Bayern an ein eigens eingerichtetes Archiv zu senden. Es gingen viele Berichte ein, sie stammten nicht nur von FAB-Aktivisten sondern auch von anderen Gruppen. Das Archiv bestand wie vieles in dieser Nachkriegsphase nur knapp ein Jahr. Durch die Berichte und erste Gerichtsverfahren wurde dokumentiert, was nach den FAB-Aufrufen über den Rundfunk am 28. April 1945 im Süden Bayerns alles passiert war. Durch die Aufrufe motiviert, unternahmen knapp tausend Personen an 78 Orten in ganz Bayern den Versuch, gegen die NS-Machthaber vor Ort vorzugehen und Verteidigungsmaßnahmen zu verhindern. Sie widersetzten sich damit den Durchhalteparolen und der Endsieg-Propaganda der Nationalsozialisten, indem sie weiße Fahnen hissten, Panzersperren wegräumten oder lokale NS-Anhänger festsetzten. Wie es die Eltern Fahrbauer in Penzberg erlebt hatten, eskalierte die Situation auch an anderen Orten sobald der Gauleiter von München und Oberbayern über den Rundfunk zu hören war und deutlich wurde, dass der FAB-Aufstand gescheitert war.

In Allach-Untermenzing, am Münchner Gärtnerplatz und in Sendling erschossen FAB-Sympathisanten Anhänger des NS-Regimes. In 16 weiteren Fällen ermordeten NS-Funktionäre 54 Menschen, die den FAB-Aufrufen gefolgt waren: Im Münchner Stadtteil Giesing erschoss ein SS-Soldat einen Mann, weil er eine weiße Fahne aus dem Fenster gehängt hatte. Wegen ähnlicher Aktionen sollten im Stadtteil Westend zwei Männer erhängt werden – sie entgingen nur knapp dem Tod, weil der Strick riss. Polizisten erschossen einen Bürger aus Mering auf
der Flucht. Er hatte den Rundfunkaufruf der Freiheitsaktion weiterverbreitet und war deshalb festgenommen worden. In Dachau kam es nach der Besetzung des Rathauses zu einer Schießerei, bei der sieben Menschen getötet wurden. SS-Soldaten erhängten einen Landshuter, weil er zwei weiß-blaue Fahnen gehisst hatte. Fünf als Aufständische verdächtigte Altöttinger wurden von SS-Soldaten hingerichtet, das sechste Opfer war der Altöttinger Landrat, der sich wahrscheinlich selbst erschoss. In Burghausen töteten SS-Soldaten drei Werksangehörige der Wacker-Chemie GmbH, die zusammen mit Kollegen die Fabrik vor der befürchteten Zerstörung schützen wollten. Der Pfarrer und der Lehrer von Götting, die eine weiß-blaue Fahne am Kirchturm aufgehängt hatten, wurden ebenfalls Opfer von SS-Offizieren. FAB-Sympathisanten, die am 3. Mai als Parlamentäre das Tegernseer Tal an US-Einheiten übergeben wollten, wurden, obwohl sie eine Passiererlaubnis hatten, in Bad Wiessee von SS-Soldaten beschossen. Zwei von ihnen erlagen ihren Verletzungen. Bei Iffeldorf wurde ein kriegsversehrter Oberleutnant hingerichtet, weil er sich an einer Entwaffnungsaktion beteiligt hatte. In der Nähe seiner Leiche fand man einen erschossenen polnischen Zwangsarbeiter, wobei seine Todesumstände ungeklärt sind.

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Übersichtskarte: nicht eskalierten und eskalierten Folgeaktionen nach den FAB-Aufrufen
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Mathilde hatte als Zeugin bei den Verfahren gegen die Volkssturm-Männer aus dem Zentralministerium aussagen müssen. Sie hatte ja leider kaum etwas sehen können von ihrer Zelle aus. Im Zuge des Verfahrens hat sich herausgestellt, dass im Hof des Ministeriums und nach einem Transport in den Perlacher Forst insgesamt neun Menschen erschossen worden waren. Der ehemalige Gauleiter Paul Giesler, der die Verfolgung befohlen hatte, konnte nicht mehr vor Gericht gestellt werden. Er hatte sich nach der Flucht in Berchtesgaden das Leben genommen.
Wie die Beschuldigten in den anderen Verfahren auch, beriefen sich die ehemaligen Volkssturm-Männer darauf, dass Sie mit ihren Taten nur Befehle ausgeführt hatten. Durch die Bank verliefen die Verfahren nach ähnlichen Mustern: Wenn Denunzianten und Täter überhaupt identifiziert werden konnten, machten sie geltend, dass sie nur Befehle ausgeführt hätten. Die Urteile fielen häufig mild aus und wurden dann nach Revisionen noch stark reduziert oder sogar in Freisprüche umgewandelt.